Sooo endlich Zeit um auch nochmal meinen Senf als jemand der an Regeln für historische Settings und Geschichtsstudent dazu zu geben
Mit historischen Settings zu arbeiten ist immer schwierig. Nicht nur da die Leute damals nen ziemlich anderes Weltbild (und nein damit meine ich nicht dass sie flat-earther waren) und Wertevorstellungen hatten, sondern auch weil viele Vorstellungen die wir heute haben oft auch einfach nur auf Klischees oder Missinformationen basieren.
Mein Lieblingsbeispiel ist das flat-earther Ding. Viele glauben heute, dass die Menschen im Mittelalter angenommen hätten, dass die Erde eine Scheibe wäre...dem ist nicht so. Die meisten Menschen wussten auch im Mittelalter, dass die Erde eine Kugel ist. Dieses Annahme hat sich aus 2 Dingen gebildet: 1. durch das Klischee des ungebildeten Mittelalters (dazu gleich auch noch etwas) und 2. da Historiker als eine der ersten großen Quellsammlungen was die Darstellung der Erde anging eine Kammer gefunden hatten, die "voll" (= eine hand voll) war mit Manuskripten, die die Erde als Scheibe darstellen. Daraus leitete man natürlich ab die Menschen dachten die Erde sei eine Scheibe... Im Laufe der Jahre sind allerdings weitaus mehr Manuskripte gefunden worden, die belegen, dass die Menschen damals durchaus von der Welt als Kugel ausgingen und auch viele Berechnungen für große Kathedralen garnicht anders möglich gewesen wären, während besagte Kammer vom Anfang wohl sowas wie die "Deppenkammer" war, also mit Absicht ein gekennzeichneter Raum voller Manuskripte die Unfug erzählen. Das Klischee ist trotzdem haften geblieben.
Nicht zuletzt auch weil wir heute die Vorstellung vom dreckigen und dummen Mittelalter haben, die allerdings nicht zuletzt aus der fühen Neuzeit stammt, in der sich die Menschen bewusst versucht haben über das Mittelalter zu erheben, weil sie ja den ganzen coolen antiken stuff gefunden haben der ja viel viel besser war und die Menschen jetzt kombiniert damit noch viel besser sind. Nicht das gerade das römische Reich doch einige Vorteile hatte und die Kirche teilweise! ganz schön ihren Daumen drauf hatte im MA, aber ganz so extrem dreckig und ungebildet und düster und unhygienisch wie die Leute heute glauben war der Unterschied eben doch nicht. Erst vor kurzem gab es auch neue Ergebnisse zum Thema Zahnhygiene: so schlecht war die nämlich garnicht mal (vor "kurzem" wurden einige Pestgräber geöffnet um das zu untersuchen).
Was ich mal wieder in nem viel zu langen Text auszudrücken versuche ist: was die meisten für das Mittelalter halten stimmt in den meisten Fällen garnicht mal.
So auch diese Sache:
Der Nagelschmied ist in meiner Sandbox übrigens in ganz Weissenstadt dafür bekannt, daß er seine Frau und Kinder schlägt...aber da das ja irgendwie auch akzeptiert ist
...mag man ihn nicht unbedingt dafür, akzeptiert es allerdings.
Vornweg noch: wir reden hier über das heimische Leben von einfachen Leuten, zu dem aus offensichtlichen Gründen die Quellenlage eher dürftig ist und von den meisten Historikern des 20. Jhd. weitestgehend ignoriert wurde, da es nicht prestigeträchtig genug war, von daher ist alles immer mit einem gewissen grain of salt zu sehen, allerdings gab es in den letzten Jahrzehnten vermehrt Forschung dazu, weswegen mittlerweile natürlich auch immer mehr Erkenntnisse und wissenschaftliche Theorien (also mit Quellen belegbar) aufgestellt werden.
Natürlich gabs die "Erziehungsschelle" und niemand wird da was gegen gesagt haben. Die Vorstellung, dass der Schmied aber zu Hause seine Frau nach Lust und Laune windelweich prügeln könnte ist eindeutig Klischee. Das war tatsächlich in der Antike (römisches Reich) aaaaber auch noch im MA ein Scheidungsgrund (ja sowas gabs damals auch...wenn auch
deutlich seltener). Zudem sollte man nicht vergessen, dass gerade in einem Dorf die Hälfte Familie war und wenn solche Aktionen vom Schmied der Regelmäßigkeit angehörten kamen wahrscheinlich irgendwann mal die 30 Cousins der Ehefrau aus dem Nachbarhaus rüber und haben dem gezeigt, dass das so nicht ging (für Außenstehende aka SC natürlich trotzdem keine Option). In der Stadt in der alles wesentlich anonymer zuging war das wohl eher ein Problem, allerdings gibt es da Quellen, die belegen, dass besonders Handwerker sich so ein Verhalten nicht leisten konnten, da es durchaus ein Grund für einen Ausschluss aus der Gilde (was Berufsverbot hieß) sein konnte.
Zudem spielt hier wohl auch noch ein wenig die Vorstellung von der braven Hausfrau rein...ebenfalls weitestgehend ein Klischee. Frauen waren über lange Zeit den Männern halbwegs gleichgestellt. Sie arbeiteten an der Seite ihrer Männer und waren meisten für Haus und Hof verantwortlich, die Vorstellung vom Heimchen, das brav am Herd steht und schön die Fresse hält stammt aus dem ausgehenden 19. und frühen bis mittleren 20. Jhd. (so viel auch zu heute sind wir viel besser
).
Um das aber auch noch klar zu sagen: ich will hier nichts beschönigen die Gangart in vergangenen Jahrhunderten war ne deutlich andere und härtere und ob eine Frau wirklich die Scheidung einreichte war in den allermeisten Fällen mehr als fraglich. Trotzdem es gab Mittel und diese wurden nachweislich auch genutzt, normal oder akzeptiert war das Verhalten des Schmiedes auf jeden Fall nicht, möglich aber definitiv ja (so wie es das auch noch heute gibt und es nicht akzeptiert ist viele Leute aber lieber wegschauen).
Aber da ist eben auch das Problem: Klischees in historischen Settings. Gerade in P&Ps sind Klischees wichtig, da sie es Gruppen ermöglichen ein halbwegs einheitliches Bild einer Spielwelt zu kreieren. So werden sich 99% der Leute einen römischen Legionär ausschließlich in einer
Lorica segmentata vorstellen, auch wenn sie die weitaus kürzer getragene Rüstung war. Klischees sind also extrem nützlich, bieten aber auch eine Menge Fallstricke erst recht, wenn nicht alle Leute auf dem gleichen Stand sind.
Als SL bzw. Autor ist es schwierig damit umzugehen. Nutzt man die Klischees um leichter ein Bild erzeugen zu können oder versucht man es "richtig" zu machen (wobei auch das immer schwer zu definieren ist schließlich gibt es auch in der Geschichtswissenschaft stets neue Erkenntnisse darüber was "richtig" ist), vor allem da das "richtige" Bild Spieler die das Klischee erwarten meist mehr irritieren kann, als einfach das Bekannte zu nutzen.
Ich persönlich versuche die Sachen so korrekt darzustellen wie es geht, solange es nicht zu stark in Konflikt mit der Spielbarkeit kommt (was ja leider auch noch ein Faktor ist, den man in historischen Settings bedenken muss), aber ich komme selbst nicht drumherum bewusst oder unbewusst auf Klischees zurückzugreifen, um etwas im Spiel oder in den Regeln zu erreichen.
So hätte ich den Schmied genauso auch bei mir eingebaut, um meine Spieler direkt zu konfrontieren. Geschichte sollte nicht beschönigt werden, da auch dieses glattbügeln von Weltbildern der damaligen Zeit für neue und sehr viel gefährlichere Klischees sorgen kann. Trotzdem sollte man sich eben bewusst sein, dass das nicht "damals schon so war" (wie gesagt ja die Zeit war härter und sowas ist da sicher öfter vorgekommen und hat weniger Echo verursacht, normal trotdem nicht).
(Edit: Klar kann sich eine Gruppe auch bewusst darauf einigen nicht historische korrekt (im Sinne von stark beschönigt) zu spielen, wäre mir persönlich zwar ein Grauß, aber jedem das seine, man sollte sich dessen nur immer bewusst sein. Und wie dragonorc bin ich der Meinung, dass man seine Spieler ruhig mit so etwas konfrontieren sollte und das eine höhere Histiorizität SC unterschiedlichen Geschlechts oder Hautfarbe auch unterschiedliche Möglichkeiten bieten kann.)
Ich bin allerdings auch der Meinung, dass sich Spieler eines historischen Settings schon etwas mit diesem auseinander setzen sollten, um eben auch ein wenig das Mindset eines "damaligen" Menschen anzunehmen. Das ist in einer festen Runde wahrscheinlich weniger das Problem als auf einer SV, wo vielleicht der SL dann einfach noch mal klärende Worte einwerfen muss. Nicht dass das in einer heimischen Runde nicht auch nötig wäre, um einem Spieler zu erklären, dass ein Ashigaru im Japan der Sengoku-Zeit kein Wochenende, feste Arbeitszeiten oder nen schriftlichen Dienstplan hat...
Für gewöhnlich hat man als SL eben mehr Ahnung von dem Setting/Abenteuer oder einfach eine bestimmte Vorstellung, die man den Spielern im Notfall mitteilen/vermitteln sollte (ebenso wie man ja auch in einer Fantasy-Welt immer eigenes Wordbuilding hat und man nicht davon ausgehen kann, dass alle immer auf der selben Linie liegen, selbst wenn sie die gleichen Texte vorliegen haben siehe alleine nur die seeeehr unterschiedlichen Caeras, die hier im Forum existieren).
Sessions stehen und fallen stets mit dem Spielleiter/Spieler.
Einem System/Setting schiebe ich keine besondere Bedeutung zu, solange der Content nicht in der jeweiligen Weise erzählt/gehandelt wird.
Wahr gesprochen!
Zum anderen Thema:
Ich persönlich finde die Zensur von Wörtern, wenn man über sie sprechen oder in einem angemessenen Kontext verwenden will ebenfalls schwierig. Während ich Zigeuner wohl ebenfalls im Ramen dessen oder wie hier um über das Wort selbst zu diskutierne nutzen würde, würde mir das beim N-Wort deutlich mehr Magenschmerzen bereiten, vielleicht auch einfach nur weil ich persönlich es auch als deutlich schwerwiegender empfinde. Würde ich aber beispielsweise eine Runde im Amerika vor dem Sezessionskrieg oder auch danach je nachdem was ich bezwecken will spielen, könnte ich mir vorstellen das N-Wort in dem Kontext auch zu nutzen, wenn auch mit vorangehender Warnung (wie GK das schon meinte bzw. dragonorc gemacht hat, wen ich es richtig verstanden habe) und in einem Umfeld, in dem jeder der es hört weiß worum es geht. Man sollte auf keinen Fall so tun, als würde es diese Wörter nicht geben. Es gibt sie und die gesamte mit ihnen verknüpfte Geschichte und das sollte man auf gar keinen Fall ignorieren oder vergessen, aber man sollte sich dessen eben auch wieder sehr bewusst sein, was diese Begriffe bedeuten und wann bzw. ob man sie benutzt. Es sind eben nicht einfach nur "irgendwelche Wörter" wer sowas von sich gibt ist mindestens blauäuig, wenn nicht schlimmeres. Wörter haben eine Bedeutung und manche Bedeutungen sind eben weitreichender und stehen für sehr viel mehr als das Wort selbst und diese Aufladung kann man auch nicht einfach weglassen.
Ich nehme zum Beispiel auch an, dass die wenigsten von euch (wenn sie nicht gerade in Bayern wohnen) das Wort Fotze lauthals in den Mund nehmen, wenn ihre Mama in der Nähe ist ... obwohl es doch nuuur der frühmittelalterliche Begriff für einen Geldbeutel ist...
Das Wort darf man schon noch sagen - so lange du es nicht auf jemanden beziehst. Das ist wie Zigeunersauce find ich affig das nicht mehr zu verwenden. Wenn man Sinti und Roma über den Weg läuft wird man sie ja wohl kaum so ansprechen.
Ahso. Hab vergessen, dass wir sowas in Deutschland jetzt auch machen... Muss ich mich wohl dran gewöhnen (bzw. das auch in Zukunft gekonnt ignorieren).
Nur sieht man den Leuten ja für gewöhnlich nicht an, ob sie Sinti oder Roma sind
Zudem geht es ja auch um den allgemeinen Gebrauch eines solchen Wortes. Nicht dass man jedem Einzelnen zugestehen sollte sich von allem möglichen offended zu fühlen...mehreren Volksgruppen (sind ja eben auch nicht nur Sinti und Roma) die unter diesem Begriff geächtet und verfolgt wurden sollte man das hingegen shcon zugestehen.
Ums plakativ zu machen: wenn es überall die Thaddaeus-ist-ein-Schweinchen-Sauce (wenn das eher belustigend als beleidigend ist, tausche es durch ein beliebiges Schimpfwort aus...wollte aber nicht fies werden mag euch ja
) gibt, du sie in allen möglichen Speisekarten, Werbung, im Supermarkt ständig siehst oder eben casual von allen möglichen Leuten hörst...auch wenn sie dich nicht direkt damit ansprechen, findest du das glaube ich nicht sooo geil...und dann kommt noch der kleine Fakt dazu, dass an deinem Namen kein Genozid versucht wurde...
Ich bin der Meinung, da kann man schonmal drauf verzichten sone blöde Sauce so zu nennen...vor allem da es einem selbst wohl eher weniger wehtut darauf zu verzichten, da finde ich es eher affig sich dagegen quer zu stellen.